Rund 40 Bahnminuten von Berlin entfernt liegt bei Fürstenwalde der Gutshof Neuendorf im Sande. Das Gelände umfasst insgesamt 36 Hektar Land, davon rund 24 Hektar Ackerfläche.
Das Landwerk Neuendorf im Sande war von 1932 bis 1941 jüdische Ausbildungsstätte zur Vorbereitung der Auswanderung, ein sogenanntes Hachschara-Lager. Die Nationalsozialisten funktionierten dann das Gelände zum Sammel- und Zwangsarbeitslager (1941-43) um. Später diente das Landwerk als landwirtschaftliche Arbeitsstätte für Kriegsgefangene (1943-45). Zu DDR-Zeiten war das Gelände Volkseigenes Gut.
Die Geschichte der Hachschara ist in Deutschland kaum öffentlich sichtbar. Alle anderen Hachschara-Stätten (allein in Brandenburg gab es 16 davon) sind zerstört oder nicht für die Öffentlichkeit zugänglich.
Zeitlicher Überblick
1919 Der jüdische Geschäftsmann Hermann Müller erwirbt das Landgut.
1932 Der Verein „Jüdische Arbeitshilfe e.V.“, gegründet als Gemeinschaftsprojekt der damaligen jüdischen Verbände, eröffnet das „Landwerk Neuendorf“ als landwirtschaftliche und handwerkliche Ausbildungsstätte für arbeitslose jüdische Jugendliche und junge Erwachsene zur Wiedereingliederung in den deutschen Arbeitsmarkt. Leiter wird Alexander Moch, der in der Israelitischen Gartenbauschule in Ahlem ausgebildet wurde.
1933 Machtübernahme der Nationalsozialisten. In der Folge schwinden die Möglichkeiten für jüdische Menschen, in Deutschland Ausbildung und Arbeit zu finden. Die Nazis dulden die Ausbildung in Neuendorf und den anderen Hachschara-Stätten, sofern sie dem Ziel der Auswanderung dient.
9. November 1938 Reichspogromnacht. Neben vielen anderen Hachschara-Stätten wird auch Neuendorf zum Ziel eines Überfalls von SA und SS. Die Leitung und alle Auszubildenden über 18 Jahren werden ins KZ Sachsenhausen verschleppt, kommen aber nach einigen Wochen frei. Viele wandern nach Großbritannien aus.
1941 Die letzten noch verbliebenen Hachschara-Stätten in Deutschland werden geschlossen, die Auswanderung von Jüd*innen verboten. Die verbliebenen jüdischen Auszubildenden werden an zwei Orten in Deutschland zusammengezogen und zur Zwangsarbeit gezwungen: In einer ehemaligen Hachschara-Stätte bei Paderborn – und in Neuendorf. Die Leitung des Landwerks übernimmt Martin Gerson, der zuvor die Hachschara-Stätte Gut Winkel geleitet hatte. Die Neuangekommenen werden in Baracken untergebracht – im Winter herrscht dort Eiseskälte.
1942 Immer häufiger werden Gruppen von Bewohner*innen nach Auschwitz deportiert. Martin Gerson versucht, die Arbeiter*innen für unabkömmlich zu erklären, um so einen Aufschub zu erwirken. Aber das gelingt nur in wenigen Fällen.
April 1943 Die letzten Bewohner*innen werden nach Auschwitz deportiert. Martin Gerson und seine Familie kommen im Juni nach Theresienstadt. Im Herbst 1944 werden auch sie nach Auschwitz deportiert und umgebracht.
April 1943 bis Kriegsende Ukrainische und russische Kriegsgefangene werden in Neuendorf zur Landarbeit gezwungen.
DDR-Zeit bis 1990 Das Landwerk wird Volkseigenes Gut.
November 1988 Zum 50. Jahrestag der Pogromnacht wird die (leider fehlerhafte) Gedenktafel am früheren Herrenhaus angebracht.
1990 bis 2018 Der landwirtschaftliche Betrieb wird eingestellt. Die Familie des ursprünglichen Eigentümers Hermann Müller wird entschädigt. Das Gut wird Eigentum der Bundesrepublik.
Oktober 2018 Zusammen in Neuendorf – S.A.N.D.E. e.V. erwirbt den Gutshof mit Hilfe der Stiftung trias und der Terra Libra Immobilien GmbH.